Van verstehen (17. – 18. April 2012)

Ich laufe also vom Hafen Richtung Van. Es soll ein Marsch von etwa 5 – 6 Kilometer sein. Kaum habe ich den Bahnübergang der Gleise, die zum Hafen führen, überquert, überholt mich ein Minibus. Kurz darauf ein zweiter. Und als der dritte Minibus hält, steige ich ein. Für eine Fahrt in die Innenstadt bezahle ich etwa 1.25 TL. Ich versuche mich mit ein paar Gästen zu unterhalten, nach dem Moto, wo kommst du her und wo gehst du hin. Naja, ich sage nicht gerne, dass ich aus der Schweiz komme, denn ich will nicht, dass die Leute eine falsche Vorstellung von mir bekommen. So mit Reichtum und so. Darum sage ich oft zu dieser Frage “China” und füge ein Augenzwinkern zu. Doch der eine Fahrgast, der Englisch spricht, errät, dass ich aus der Schweiz bin – aufgrund des kleinen Wappen, das auf der Katadyn Trinkflasche (zum Wasser filtrieren) angebracht ist. Mist, das sollte dann vielleicht noch weg ;-) Ich möchte nicht, dass man meine Herkunft gleich erraten kann. Das könnte unangenehme Konsequenzen haben. Ich falle hier sowieso immer gleich auf, denn wer hat schon einen Rucksack dabei, auch wenn es nur der Tagesrucksack ist. Und wer trägt schon eine Regenjacke, statt eines Anzuges? Der englisch-sprechende Türke (er heisst Gazi, wie ich später erfahre) fragt, wo ich genau hin will und ein Junger Mann im Bus kennt dann die Strasse.
Im Zentrum angekommen, wandern wir dann zu dritt durch das Wirrwarr der Strassen. Überall kleine Läden, die jeweils von nur ganz wenigen Produkten eine ganze Menge haben. Und all die Leute. Hier bin ich der Fremde! Mir kommt die ganze Sache langsam etwas etwa suspekt vor. Auf Google Maps habe ich zuvor geschaut, wo es etwa durchgehen müsste und durch dieses Wirrwarr habe ich das Gefühl, es stimme etwas nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass der Minibus an einem unerwarteten Ort angehalten hat und ich dadurch die Orientierung etwas verloren habe. Schliesslich kommen wir in die besagte Strasse. Der unbekannte Junge Mann verabschiedet sich dann von uns. Das erleichtert mich etwas. Doch bei dem Hotel stehen wir vor verschlossenen Türen. Ich weiss, dass hier in der Region letzthin ein Erdbeben stattgefunden haben muss. Als wir bei den anderen beiden günstigen Hotels, die im Lonely Planet erwähnt werden, auch vor verschlossenen Türen stehen, wird mir die Tragweite des Unglücks langsam bewusst. Am 23. Oktober 2011 hat hier die Erde geschüttelt – mit einer Magnitute von 7.2 auf der Richter Skala! Es soll etwa 600 Tote gegeben haben und Tausende Menschen hatten kein Dach über dem Kopf mehr, weil viele Häuser unbewohnbar wurden. Das erklärt auch, warum die günstigen Hotels alle geschlossen sind. Gazi verbringt hier in Van ein Nacht im Hotel Fuat, der er ist nur wegen seiner Arbeit hier. Er sei Anwalt. Weil ich momentan in der Stadt etwas verloren bin (die Touristeninformation hat auch schon geschlossen) und nicht gerade viele Alternativen sehe checke ich ebenfalls in diesem Hotel ein. Lieber mal ein Bett in einem mehr oder weniger sicheren Gebäude. Es kostet mich ganze 70 TL! OK, 35.- Fr sind nicht gerade ein Vermögen, doch für die Türkei doch ein ordentlicher Bazen. Angebot und Nachfrage kommt hier offensichtlich zum Tragen. Das Hotel selber überzeugt mich allerdings auch nicht. auf mindestens 2 Stockwerken wird gebaut und zwar massiv. Man riecht den Zementstaub. Das sieht man allerdings nicht, wenn man mit dem Lift hochfährt… Im Zimmer hängt ein rauchiger Baustellengeruch. Dass hier geraucht wird, zeigt mir auch der Aschenbecher, der auf dem Tischchen steht. Ich bin überhaupt nicht glücklich darüber. Ich stelle meinen Rucksack hin und wandere noch etwas durch die Stadt. Nachdem ich realisiert habe, welches die Hauptstrassen sind, fällt einem die Orientierung hier im Zentrum auch massiv leicher. Nach einem “Chicken-Dürüm” (wenn man mal wüsste, was man wo und wie nennt…) gehe ich zurück ins Zimmer.
Ich schlafe schlecht. Wahrscheinlich auch darum, weil ich ich vom Rauch im Zimmer ein Kratzen im Hals habe und ich mich über die schlecht Luftqualität ärgere. Zwischendrin spiele ich noch etwas mit dem Compi hier bevor ich dann wieder schlafen kann – diesmal in umgekehrter Richtung im Bett und ohne Kissen, was wesentlich besser funktioniert.
Wieder habe ich ein ganzes Weilchen Zeit zerinnen lassen. Mir kommt in den Sinn, dass ich keine Unterwäsche mehr zum Anziehen habe. Also wasche ich im Lavabo des WC meine Unterhosen und Socken. Weil kein Stöpsel vorhanden ist, blockiere ich den Abfluss mit einem Plastiksack. Doch einen Platz für die Wäscheleine zu finden gestaltet sich schwieriger… Schliesslich gönne ich mir um viertel vor zehn ein ausgiebiges Frühstück im Hotel.
Auf dem Touristenbüro frage ich nach einem Stadtplan. Leider kriege ich dort nur denselben ungenauen Plan, wie ich ihn schon im Hotel bekommen habe. Dafür kriege ich noch ein paar andere Informationen und Gratispostkarten. Als nächstes lasse ich die Fotos, welche ich auf der Fähre mit der Digicam gemacht habe, drucken. Diese möchte ich möglichst schon hier zu den Fährleuten schicken. Gemacht ist gemacht… In der Wartezeit schreibe ich einen Begleittext auf die Gratiskarte von der Touristeninformation. Weil ich die Post nicht finde, gehe ich nochmals auf die Touristeninformation. Dort sprechen wir auch über Hotels und deren Preise. Schliesslich entschliesse ich mich, das Hotel zu wechseln. Also zurück zum Hotel (den Brief habe ich ganz vergessen), und schnell zusammenpacken. Um viertel nach Zwölf checke ich aus dem Hotel Fuat aus und wandere wieder durch Van.
Leider kämpfe ich wieder damit, dass der Stadtplan sehr schemenhaft ist und absolut ungenau. Unterwegs sehe ich wieder viele Polizisten, zum Teil mit MPs und mit Radpanzern. Ich frage mich nach den Strassen und Hotels durch. Leider wurde mir auf der Touristeninformation die Stelle des einen Hotels falsch eingezeichnet und ich finde es nicht. Schliesslich stehe ich wieder vor einem geschlossenen Hotel. Also ich meinen Stadtplan und die Karten auf dem Tablet konsultier kommt gerade eine kleine Gruppe Männer heran. Der eine präsentiert sich als Hotelmanager und sagt mir, wo ich ein Hotel finde könne. Er besitze mehrere… Auch eines für einen günstigeren Preis. Also wieder ein paar hundert Meter die Strasse hochlaufen. Schliesslich finde ich dort das Hotel, das ich ursprünglich gesucht habe – allerdings auch geschlossen – und nebenan gleich das Hotel Sehrivan. Ich muss etwas verhandeln, dass ich ein günstiges Zimmer für 25 TL kriege und nicht eines mit allem drum und dran für 60 TL. Nur weiss ich nicht, wo ich denn Duschen soll… Das WC auf dem Gang habe ich nicht genau konsultiert. Hauptsache ein günstiges Bett und nicht mehr so rauchig wie das letzte Mal. Nur werde ich im Hotel nach meinem Pass gefragt. Wie meistens in den Hotels zeige ich einfach die ID (in der Türkei sollte die sowieso reichen). Erst jetzt merke ich, dass er meinen Pass als Hinterlegung behalte will und bin froh, nur die ID gegeben zu haben. Ich habe ja immer noch den Pass. Das nächste Mal, werde ich aber die ID auch nicht mehr abgeben wollen. Ich deponiere meinen Rucksack an der Reception und gehe meine noch nassen Unterhosen und Socken aufhängen. Endlich habe ich Zeit, zum Van richtig anzuschauen. Doch halt, ich muss noch zuerst den Brief abschicken. Wieder muss ich die Post suchen. Diesmal hilft mir ein Einheimischer.
Van ist berühmt für die Van-Katzen. Obwohl ich ja überhaupt nicht der Katzenfan bin, sage ich mir, dass ich die gesehen haben muss. Also suche ich mir einen Minibus der in diese Richtung fahren sollte. Auf dem Stadtplan liegt das Katzehaus (Kedievi) an de Strass nach Ercis. Also denke ich, dass dies der richtige Minibus sei. Doch weit gefehlt, erst als der Kassierer 10 TL für die Fahrt verlangt, realisiere ich, dass da etwas nicht stimmt. Also steige ich aus. Erst jetzt realisiere ich, dass Ercis 102 km entfernt liegt und die 10 TL natürlich bis Ercis gelten. Gut bin ich ausgestiegen. Ein Mann sieht mein Problem und hilft mir. Ich muss einen lokalen Minibus nehmen. Der hilfsbereite Mann sei Lehrer und unterichtet Türkisch. Zum Glück kann er einigermassen gut Englisch. Wir unterhalten uns etwas darüber, wie es ist, der Fremde zu sein. Er selber kommt nicht von Vhaus an und ist etwas erstaunt darüber, dass ich hierher komme. Er mag nämlich Van überhaupt nicht. Wenn man anderes ist, werde man hier immer komisch angeschaut. Er sei auch etwas anders – er möge keine Frauen! Ich bin baff und weiss nicht was sagen. Mir bleiben förmlich die Worte im Hals stecken. Ist er schwul? Dann sagt er “only joking”. Ich weiss nicht mehr was ich davon halten soll. Zum Glück sind wir beim Minibus zum “Kampüs” angelangt und er verabschiedet sich.
Die Fahrt mit dem Minibus dauert länger als ich erwartet habe. Beinahe endlos lang. Das liegt vorallem daran, dass die Distanzen auf meinem Stadtplan nicht massstäblich wiedergegeben sind. So werde ich etwas nervös, als ich realisiere, dass wir aus der (Innen-) Stadt herausfahren. Etwas ausserhalb der Stadt sehe ich ganze Siedlungen aus Containern. Diese dienen den Leuten, die durch das Erdbeben ihr Dach über dem Kopf verloren haben, als vorübergehende Behausung. Schliesslich gelangen wir auf dem Uni Campus an. Eine weitläufiger Platz mit viel Brachland, auf dem sich auch das Katzenhaus befindet. Das Katzenhaus besteht aus zwei Zwingern, jeweils einen für die Weibchen und einen für die Männchen. Kaum bin ich dort angelangt, brausen drei Minibusse und sowei ein paar Fahrzeuge der Polizei, wobei eines ein gepanzertes ist, heran. Aus den Minibussen steigen lauter Kinder, etwa im Kindergartenalter, mit ihren Betreuerinnen. Der Leier des Katzenhauses zeigt ihnen die Katzen, was die Kinder natürlich hoch erfreut. Als die Kinder und Polizisten wieder weg sind, frage ich den Leiter des Hauses, warum die Kinder zusammen mit der Polizei gekommen sind. Zuvor konnte mir niemand diese frage beantworten… Der Leiter antwortet mir, dass das nur ein gemeinsamer sozialer Event gewesn sein. Oder so… Und schliesslich muss ich mir natürlich die Katzen anschauen, im Besonderen deren Augen. Nicht alle Katzen haben verschiedenfarbige Augen. Die einen haben eher grün-braune Augen, andere blaue. Und dann gibt es natürlich noch die mit den verschiedenen farbigen Augen. Wobei mal das rechte, mal das Linke blau ist, während das andere dann grün-braun ist… Die ganze Sache mit den verschieden farbigen Augen erinnert mich auch an die blauen Augen der Menschen. Es ist erstaunlich, hier sieht man relativ viele Leute, die schwarze Haare haben und blaue Augen. Bei uns ist des eher selten anzutreffen. Ich glaube mich daran zu erinnern, dass die rezessive Mutation, welche für die blauen Augen verantwortlich ist, ursprünglich irgendwo in dieser Region das erste mal aufgetreten sein muss.
Mit dem Minibus geh es wieder zurück ins Zentrum. Es ist scho erstaunlich, wie die Minibusse von ihren muslimischen Fahrern odmit dm er Besitzer dekoriert werden. teilweise ganz im orientalischen Stil. Im Zentrum kaufe ich mir ein paar Brötchen und etwas Backlawa. Kein Wunder grinst der Verkäufer, als ich mit der 20.- TL Note bezahle – es kostete nämlich nur 4.- TL… Aber ich hatte gerade nicht mehr soviel Münz und keine kleineren Noten mehr.
Im Zentrum ist die Präsenz der Polizei wirklich gross. Und wieder stehen sie da, mit MPs, Schutzwesten und teils mit gepanzerten Fahrzeugen. Es muss etwas daran liegen, dass die PKK wieder aktiver ist. Doch ich frage mich zum Teil, wie diese Polizisten ihre Waffen tragen. Patrouillenstellung ist ja ganz OK, aber muss der Finger an den Abzug? Das lernte ich meinen Rekruten in der ersten RS-Woche, dass der Finger “lang” zu sein habe und nur zum Schiessen an den Abzug gehört (In der CH-Armee Sicherheitsregel Nummer drei…). Kein Wunder beobachte ich diese Polizisten etwas zu genau, was diese mit einem strengen Blick quittieren.
Schliesslich fahre ich mit einem Minibus zum Van Kalesi, der Festung von Van. Diese liegt prominent auf einem grossen Hügel aus Kalkfelsen. Auf dem Weg nach oben, begegnen mir drei Männer, vermutlich arabischer Herkunft. Sie geben mir noch eine handvoll der gesalzenen Sonneblumenkerne, wie sie hier sehr beliebt sind. Das hätten sie besser nicht gemacht, den jetzt sitzte ich auf dem Felsen und versuche verzweifelt diese Dinger zu öffnen, um an den kleinen Kern zu gelangen. Bis zur Abenddämmerung…
Auf dem Rückweg zum Zentrum nimmt mich ein Autofahrer mit. Ganz wohl ist mir bei der Sache trotzdem nicht. Vielleicht hätte ich intensiver verneinen sollen. Aus Reflex ziehe ich mir den Sicherheitsgurten über die Schulter. Er schmunzelt bei meiner Aktion, denn er trägt keine Gurten. Naja, in den Bussen und Minibussen trage ich auch keine… Erst jetzt sehe ich, dass er eine Flasche Bier zwischen den Beinen hält. Wenn das nur gut geht. Es geht gut und er lässt mich dann bei einem Kreisel raus, bei dem er abbiegen muss. Ich folge der Strasse geradeaus und muss noch etwas 10 – 20 min laufen, bis ich im Hotel ankomme.
Im Hotel frage ich nochmals, wie das mit dem Duschen funktioniert. OK, ich muss zuerst schlafen, dann kann ich irgendwo Duschen gehen. Nur wüsste ich gerne jetzt schon, wo… Also muss zuerst einmal eine “Katzenwäsche” reichen, um den gröbsten Schweiss und Dreck los zu werden. Und dann die nächste Herausvorderung – ein gemeinsames “Scheissloch” auf dem Gang (OK, hat schon noch eine Tür…). Das geht ja noch, aber wo bitte ist das WC Papier? Es steht da nur ein kleiner Eimer mit einem Wasserhahn darüber. Also meinen Hintern nur mit dem Wasser und der blossen Hand zu Putzen geht also gar nicht. Ich kann auf vieles verzichten, aber so was mache ich dann auch nicht… Und ein Eimer für das Papier steht auch nicht da. Also wenn ich dann mal muss, nehme ich mein eigenes WC-Papier und spühle das dann einfach das Loch hinunter. Mir ist dann egal, was passiert… Schliesslich versuche ich noch ein paar Gedanken zu schreiben, doch der Kopf ist so schwer, dass ich ihn auf die Seite legen muss und für etwa 2 Stunden schlafe. Schliesslich schreibe ich noch ein paar Gedanken fertig und gehe richtig schlafen.

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